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Einführungsvortrag

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Einführungsvortrag

Guten Abend meine Damen und Herren,

wer mit der interessanten Aufgabe betraut wird, einen Einführungsvortrag zu einer Ausstellung zu halten, versucht im Vorfeld natürlich möglichst viele Informationen über Künstler und Werk zusammenzutragen. Aus vielen Puzzleteilchen entsteht nach und nach ein Bild. Kein lückenloses natürlich, sondern vielmehr eine grobe Skizze, die jedoch eine Art Essenz beinhaltet.

Ich hatte bei der Vorbereitung auf den heutigen Abend das Glück auf zwei sehr offene Menschen mit einer großen Leidenschaft für die Kunst und den künstlerischen Ausdruck zu treffen. Sowohl Sophie von Bechtolsheim als auch Luis Höger haben geduldig viele neugierige Fragen beantwortet und mir einen unverstellten Einblick in ihr Schaffen und somit auch in einen bedeutenden Bestandteil ihres Lebens gewährt. Dafür danke ich beiden.

Und so darf ich Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren, nun eine hoffentlich gehaltvolle Essenz – sozusagen als Aperitif vor dem eigentlichen Kunstgenuss – anbieten.

In dieser Ausstellung treffen also Bilder von Sophie von Bechtolsheim und Skulpturen von Luis Höger aufeinander. „Augenblicke“ lautet der Titel der Ausstellung – und tatsächlich lassen uns beide Künstler teilhaben an Augenblicken, an Moment-Aufnahmen und Situationen, die sie dazu inspiriert haben, dem ganz persönlichen Eindruck einen individuellen Ausdruck zu verleihen.

 

Sophie von Bechtolsheim ist Historikerin und Kommunikationswissenschaftlerin. Sie engagiert sich seit vielen Jahren im Vorstand des Kuratoriums der Stiftung 20. Juli 1944. Mit der im Juli 2019 erschienenen Biographie über ihren Großvater Claus Schenk Graf von Stauffenberg, hat Sophie von Bechtolsheim bewiesen, dass sie es auch mit Worten versteht Menschen zu berühren. Ihr Buch erkletterte aus dem Stand die Spiegel-Bestseller-Liste. Dies ist umso erwähnenswerter, als dass sie als Autorin eine Newcomerin ist. Die künstlerische Betätigung jedoch, das Malen, hat einen festen Platz in ihrem Leben – und zwar seit sie denken kann.

Ihre Bilder waren bereits in zahlreichen Ausstellungen zu sehen. Sie sind überwiegend von expressiver Farbigkeit, ihre Motive oft auf markante Formelemente reduziert. Die Augen des Betrachters werden jedoch nicht nur vom Zusammenspiel der Farben und Formen und von der Wahl der Bildausschnitte angezogen, sondern auch von kontrastierenden Elementen wie zum Bespiel nächtliche Dunkelheit und künstliches Licht. Exemplarisch nennen möchte ich hier die Nachtstücke dieser Ausstellung: sind die beiden Bilder mit Motiven aus Isfahan – der nächtlich beleuchtete Imam-Platz und der Blick in die Architektur des Bazars – sowie der nächtliche Luise- Kisselbach-Platz.

Als Vorlage für ihre Werke dienen ihr meist Fotos. Fotos von Augenblicken, Momenten und Situationen, die sie aus irgendeinem Grund ergriffen und bewegt haben. Schnappschüsse aus Auto- oder Hotelzimmer-Fenstern, Reisefotografien und Bilder, die auf Spaziergängen entstehen. Seit 13 Jahren lebt sie in Uffing – mit Familie und Hund.

Dieser Hund ist auf dem winterlichen Bild mit dem Titel „Spaziergang“ zu sehen. Der Vierbeiner steht wie angewurzelt auf einer verschneiten Fläche, vor ihm ragen die Bäume eines Waldes in die Höhe. Er erinnert in seiner vom Betrachter abgewandten und der Natur zugewandten Haltung fast ein bisschen an die Menschen bei Caspar David Friedrich. Gewiss nimmt das Tier die Schönheit der Natur auf völlig andere Weise wahr als der Mensch. Als Fixpunkt im Bild hilft er uns Betrachtern jedoch ebenfalls innezuhalten und teilzuhaben an diesem stillen Moment in einem winterlichen Wald.

Landschaftsbilder – auch einige in dieser Ausstellung – tragen bei Sophie von Bechtolsheim des Öfteren den Titel „Harberg“ oder „Guggenberg“ und sind ein Indiz dafür, dass die Voralpenlandschaft rund um den Staffelsee der Malerin immer wieder aufs Neue Inspirationen liefert. Doch in ihrem Haus ist keine Staffelei zu finden. Der Platz, an dem sie Acrylfarben mischt und ihre Werke Gestalt annehmen, ist seit zwei Jahrzehnten die Ateliergruppe von Petra Amerell in München. Dort hält sie unterschiedlichste Augenblicke – darunter Landschafts- und Stadtszenerien, aber auch abstrakte Farb-Form-Licht-Kompositionen mit Acryl auf Leinwand in verschiedenen Formaten fest. Dabei hat die Künstlerin nie das große Panorama im Blick, sondern fokussiert sich stets auf einen Ausschnitt, auf diejenigen Details, die ein Motiv zu einem besonderen machen. Ein wiederkehrendes Motiv, das die Künstlerin fasziniert, ist die Horizontlinie. Ein Bildelement, das gleichermaßen vereint und trennt. An ihr berühren sich Himmel und Erde, an ihr scheidet sich Unten von Oben, Grün von Blau, Dunkel von Hell. Es gibt aber auch Bilder, in denen die Abstraktion Überhand gewinnt und auf denen diese Linie nicht mehr so scharf, sondern weicher erscheint, auf denen sie durchlässig wird, auf denen Farbe und Form verschmilzt, sich immer weiter vom Gegenständlichen entfernt und der Abstraktion annähert.

In der Zeit, in der Sophie von Bechtolsheim intensiv am Buch über ihren Großvater gearbeitet hat, entstanden ausschließlich abstrakte Kompositionen. Und auch in diesen frei von jeglicher Gegenständlichkeit komponierten Farbflächen, Farbtupfen und Farblinien scheinen vor dem Auge des Betrachters manches Mal Landschaften mit Wäldern, Bäumen, Wiesenflächen und Pflanzen aufzutauchen. Sophie von Bechtolsheim möchte durch ihre Kunst – so sagt sie – keine Botschaft vermitteln, jeder könne sie auf seine Weise verstehen. Vor allem ihre abstrakten Werke bieten uns diesen Freiraum, regen unsere Fantasie an, lassen vor jedem Augenpaar ein anderes Bild entstehen. Eine nicht beabsichtigte, spannende Seh- und Sinneserfahrung!

Menschliche Figuren spielen in Sophie von Bechtolsheims Werk eine eher untergeordnete Rolle. Sie bleiben meist gesichtslos, sieht man von den wenigen Porträts in ihrem Werk ab. Die Künstlerin nutzt Figuren vielmehr, um Beziehungen im Raumgefüge darzustellen. Beispielhaft zu sehen ist dies auf dem hier in der Ausstellung gezeigten Bild „Centre Pompidu“. Auf dem quadratischen Bildformat ist ein Ausschnitt des Platzes vor dem Pariser Museum dargestellt. Die flanierenden und sitzenden Menschengestalten, werfen lange Schatten und dienen so als rhythmisierende Elemente. Die Künstlerin lässt uns teilhaben an dem Zusammenspiel von Form und Farbe, Licht und Schatten sowie den unterschiedlichen Bewegungen, Posen und Gesten der Personen und ihrer Konstellation zueinander, durch die ein ganz eigenes Muster entsteht.

 

Luis Höger dagegen stellt die menschliche Gestalt in den Mittelpunkt seines Schaffens und fertigt Einzelfiguren und Figurengruppen und verwendet dafür überwiegend Holz, seltener Bronze. Seine ganze Aufmerksamkeit als Künstler gilt den Posen, Gesten und den typisierten bis individuellen Gesichtszügen von Menschen. Mit seinen realistischen figürlichen Darstellungen widmet er sich einem Sujet, das in der zeitgenössischen skulpturalen Kunst erst in den 1990er Jahren, beginnend mit den großformatigen und bunt gefassten Figuren von Stefan Balkenhol, wieder richtig salonfähig wurde. Dabei zeigt Luis Höger oftmals auch Augenblicke, Menschen in bestimmten Situationen, wie die kleine hier ausgestellte Bronzearbeit einer Frau im Liegestuhl mit dem Titel „Sonnenbad“. Er stellt sie auf Stelen und rückt sie somit ins Blickfeld des Betrachters – auf seine Augenhöhe.

Seine nah an der Natur orientierte Figurenauffassung zeigt, dass Luis Högers künstlerische Entwicklung mit einer traditionell-handwerklichen Ausbildung in der Garmisch-Partenkirchner Schnitzschule begonnen hat. An der Münchner Akademie der Bildenden Künste bei Josef Henselmann und Hans Ladner fand er seinen eigenen Stil im Bereich der gegenständlichen Kunst, die geprägt von intensivem Naturstudium und Aktzeichnen ist.

Seit 1970 ist Luis Höger als freischaffender Bildhauer tätig. Er fertigt Auftragsarbeiten, beteiligt sich an Ausstellungen und nimmt an Wettbewerben teil. Auch im öffentlichen Raum findet man seine Werke – Beispiele sind der Taferlbrunnen am Murnauer Obermarkt und der Schäfflerbrunnen in Partenkirchen. 2013 erhielt er den 1. Preis beim „Europäischen Gestaltungspreis für Holzbildhauer“ mit der Figurengruppe „Frauensache“, die ebenfalls hier zu sehen ist. Es handelt sich um eine ausgewogen komponierte Figurengruppe mit drei Frauen. In der Laudation anlässlich der Preisverleihung beschrieb Susanne Lüdtke das Werk so. Zitat: „Die jungen Frauen könnte man aufgrund der Ähnlichkeit auch als Spielarten einer einzigen Person sehen. Sie sind einander zugewandt. Sie nehmen Blickkontakt auf, sie scheinen sich ernst und konzentriert auszutauschen. Frauen von heute stehen für sich, beziehen sich aufeinander, leben in starken Freundschaften, machen sich vielleicht unabhängig von dem männlichen Blick, könnten wir daraus interpretieren.“

Begonnen hat seine bildhauerische Auseinandersetzung mit dem Thema „Frauenfiguren“ Anfang der 2000er-Jahre mit „Eva“. Ihr begegnet man, wenn man Högers Werkstatt in Garmisch-Partenkirchen betritt. Aufrecht steht sie da, die Arme vor der Brust verschränkt, der Kopf mit den langen dunklen Haaren leicht geneigt, der Blick selbstbewusst und ein bisschen fragend auf den Eintretenden gerichtet. Manch einer, der zum ersten Mal zu Besuch kommt, grüßt die lebensgroße Figur in Jeans, weil sie auf den ersten Blick wirkt wie ein Mensch aus Fleisch und Blut. Grundlage für dieses Werk war das Foto einer ehemaligen Nachbarin. Was der Bildhauer daraus machte, ist jedoch kein 1:1-Abbild des Vorbilds. Vielmehr hat sich im Laufe des Schaffensprozesses eine ganz eigenständige Persönlichkeit aus Holz entwickelt.

Mit den Jahren wurden die Formate kleiner. Luis Högers Anspruch an sich selbst, die Posen der Figuren sowie die Ausarbeitung immer mehr zu perfektionieren, scheint jedoch bei jedem Werk größer zu werden. Dem bei Schnitzern so beliebten Lindenholz, das er noch bei der „Eva“ und der preisgekrönten Frauengruppe verwendet hatte, hat er inzwischen den Rücken zugekehrt. Sein Lieblingsmaterial ist seit geraumer Zeit das Holz von heimischen Fichten, die in den Bergregionen über 1.500 Meter wachsen. Diese widerstandsfähige, oft auch ein wenig widerspenstige Holzart verfügt über eine deutlich zu erkennende und vergleichsweise dichte Maserung. Und so finden sich die Jahresringe dann am Körper der Figuren als Aderung, als Gelenke oder in ihren Haaren als Strähnen wieder. Die Natur bringt sich über die Maserung also in den künstlerischen Prozess mit ein. Und genau das ist es, was Luis Höger an dieser Holzart gefällt.

Er arbeitet seine Figuren mitsamt Sockel jeweils aus einem Stück Fichtenkantholz heraus. Unter seinen Händen befreien sie sich von der kompakten Masse des Kantholzes, nehmen ihre detailgetreu gezeigten Posen ein und behalten dennoch die feste und dennoch flexible Spannung des Rohstoffes Holz. Besonders deutlich wird das am Beispiel der Relieffigur „Lena“, die zusammen mit Sockel und Rückwand aus einem Holzblock gearbeitet wurde. Lenas Körper scheint gerade im Augenblick des Betrachtens aus der mit Rötelstift akzentuierten Rückwand herauszutreten. Sie ist frei und doch verbunden.

Bei der farbigen Gestaltung verhält sich Luis Höger insgesamt sehr zurückhaltend. Meist reichen ihm eine oder mehrere Schichten Kalk beziehungsweise fast zeichnerisch gesetzte Striche in Pastelltönen, um Akzente auf der Oberfläche zu setzen. So entstehen Skulpturen, die traditionell gefertigt und modern interpretiert sind. Sie zeigen attraktive, weibliche Frauen, die selbstbestimmt und unabhängig mitten im Leben stehen, die Position beziehen und die ihre Umwelt mit einem aufmerksamen Blick betrachten.

In dieser Ausstellung treffen zwei verschiedene Sparten der Bildenden Kunst, unterschiedliche Bildsujets und individuelle Herangehensweisen aufeinander: Die Malerin zeigt Landschafts- und Stadtausschnitte sowie sinnliche Abstraktionen, der Bildhauer ist auf den menschlichen Körper fixiert. Gemeinsam ist beiden, dass sie in ihren Werken nicht nur das Sichtbare zeigen, sondern es auch verstehen das Hintergründige in den Vordergrund zu holen. Beide verstehen es auf ihre Weise den Blick des Betrachters einzufangen und ihn dem Blick des Künstlers folgen zu lassen. Sie lassen uns schmunzeln, staunen und lassen uns erkennen, dass in einem flüchtigen Augenblick, einer beiläufigen Geste oder einer abstrakten Farbkomposition oft die ganze Essenz zu finden ist.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen nun viel Vergnügen beim Entdecken und einen schönen Abend!

 

Einführungsvortrag von Ute Leitner anlässlich der Eröffnung der Ausstellung Augenblicke – Bechtolsheim & Höger am 26. Januar 2020 in der Seeresidenz, Seeshaupt