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Erde an Weltall – bitte kommen!

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Erde an Weltall – bitte kommen!

Es ist ein wirklich futuristisch anmutender Anblick: Inmitten der oberbayerischen Bilderbuchlandschaft südlich des Ammersees erhebt sich eine schneeweiße Halbkugel, die an den Hut eines gigantischen Champignons erinnert. Das sogenannte Radom (vom englischen Wort „Radar Dome“ für Radarkuppel) ist neben fünf weiteren Großantennen mit ihren zum Himmel zeigenden Reflektoren das auffälligste Gebäude der Erdfunkstelle Raisting – oder „Erdefunkstelle“, wie es historisch richtig heißt. Erbaut wurde das Radom, eine strebenlose Traglufthalle, 1963/64 im Auftrag der Deutschen Bundespost. Die aufblasbare Hülle, die den Raum von 49 Metern Durchmesser überspannt, schützte die erste Parabolantenne der Anlage – die sogenannte „Antenne 1“ mit einem Durchmesser von 25 Metern – vor Witterungseinflüssen.

Das Radom ist ein Meilenstein in der Geschichte der modernen Kommunikationstechnik und der Globalisierung. Von hier aus wurde erstmals interkontinentaler Funkverkehr über Nachrichtensatelliten gesteuert. Mit ihrer Hilfe konnten die Deutschen historische Ereignisse wie die Vereidigung des wiedergewählten US-Präsidenten Johnson und die erste Mondlandung im Fernsehen live mitverfolgen. Auch wurden durch die neue Übertragungstechnik Übersee-Telefongespräche einfacher und erschwinglicher. Nach der Stilllegung der Anlage im Jahr 1985, als die Technik von analog auf digital umgestellt wurde, begann nicht nur die Diskussion über die zukünftige Nutzung, sondern auch der Verfall. Diesen aufzuhalten galt es spätestens seit 1999, als das Radom unter Denkmalschutz gestellt wurde.

Mitarbeiter der Erdfunkstelle, die sich zum „Förderverein Industriedenkmal Radom Raisting e. V.“ zusammengetan haben, sicherten den Bestand der technischen Ausstattung und Dokumentation und setzen sich für den langfristigen Erhalt der Anlage als Denkmal ein. Das gleiche Ziel verfolgt die im Jahr 2007 gegründete gemeinnützige „Radom Raisting GmbH“, die sich zu hundert Prozent im Besitz des Landkreises Weilheim-Schongau befindet. Als Eigentümerin des Radoms erarbeitete die „Radom Raisting GmbH“ ein Sanierungskonzept, das ab Herbst 2010 umgesetzt wurde. Die altersschwache Traglufthülle wurde ausgetauscht, danach die Heizungsanlagen, die Stützluftgebläse für die Traglufthülle und die Flachdächer saniert. Der Bezirk Oberbayern förderte die Renovierungsarbeiten am Denkmal sowie das zuvor angefertigte Gutachten zum Sanierungsbedarf. Bei der Wiedereröffnung am 6. Juli 2012 wurde die Idee formuliert, das Radom Raisting als UNESCO-Weltkulturerbestätte vorzuschlagen. Zu einem der erarbeiteten Nutzungskonzepte gehört die technisch-wissenschaftliche Nutzung der immer noch voll funktionsfähigen Antennenanlage.

Dass die Satelliten-Anlage immer noch als eine Art Kontaktstelle zu Überirdischem beziehungsweise Außerirdischen fungiert, in diesem Punkt sind sich UFO-Gläubige einig. Schließlich war im Sommer 2014 in direkter Nachbarschaft zum Radom über Nacht – und unter immer noch ungeklärten Umständen – ein Kornkreis in einem Weizenfeld entstanden. Das geometrische Muster zog Heerscharen von Esoterikern an, die sich dort „energetisch aufladen“ wollten. Aber auch wenn die Getreidehalme inzwischen wieder ungebrochen in die Höhe wachsen, lohnt sich ein Besuch des bau- und technikgeschichtlich bedeutenden Denkmals Radom Raisting. Besichtigt werden kann es von Anfang April bis Ende Oktober im Rahmen von Gruppenführungen, die von den „Pfaffenwinkler Kulturführern“ angeboten werden.

 

Text für den Kalender des Bezirks Oberbayern, 2017

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